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Es rauscht im irakischen Blätterwald

Zwischen sechs und neun Uhr morgens herrscht an Bagdads Bab-al-Muadham-Platz reges Treiben. Und das nicht nur, weil dort Sammeltaxen jede Menge Menschen ausladen, die zur Arbeit in die Innenstadt fahren. Im traditionellen Druckereiviertel formiert sich heute eine Zeitungslandschaft der besonderen 

Art. Zwar sind die ehemaligen Verlags- und Druckhäuser zum großen Teil durch amerikanische Bomben zerstört worden, doch spielt sich hinter den Kriegsruinen etwas ab, das man wohl als Wendephänomen für Irak bezeichnen kann. Zeitungsbörse nennen Insider das, was allmorgendlich - außer freitags- hier im Herzen der Hauptstadt abläuft. Auf unzähligen, oft provisiorisch zusammengezimmerten Tischen bieten Zwischenhändler Zeitungen für Großabnehmer an. Je höher die abgenommene Stückzahl, desto niedriger der Einzelpreis. Ab 150 kann gefeilscht werden.

 Während zu Saddams Zeiten ganze vier Tageszeitungen von der staatlichen Organisation für Presse und Publikationen herausgegeben wurden, sind es heute allein in Bagdad über 30. Es tobt ein erbitterter Konkurrenzkampf. "Meinungsfreiheit ohne Grenzen", nennt Kulturminister Mufeed Mohammed Jawad al-Jaza'iri die schrankenlose Publikationsfreudigkeit, die derzeit in seinem Land zu beobachten ist. "Es gibt keinerlei gesetzliche Einschränkungen." Jeder, der es sich leisten könne, kann eine Zeitung drucken und unter die Leute bringen, sagt der Übergangsminister. Allerdings berge diese uneingeschränkte Freiheit auch Gefahren, gibt er zu. So gelange eine Menge extremistischer Propaganda auf den Markt. Dem müsse unbedingt Einhalt geboten werden. Ob die Zensur wieder eingeführt werde? Darauf wollte sich

al-Jaza'iri im Gespräch mit der MAZ nicht festlegen. Wohl aber sollen künftig Lizenzen für die Herausgabe von Publikationen festgesetzt und genau geprüft werden. Vorlagen für ein Pressegesetz gäbe es jedoch noch nicht und der Minister ist sich auch nicht sicher, ob ein solches noch von seiner Regierung verabschiedet werde oder von der erst im nächsten Jahr vom Volk gewählten.

 Riad hat 20 verschiedene Zeitungen zur Auswahl an seinem Stand. 100 Exemplare ist die Mindestabnahmemenge. Dabei darf gemischt werden. In den ersten Monaten nach dem Sturz des Saddam-Regimes kosteten nahezu alle Druckerzeugnisse 250 Dinar, weil nur die blauen Scheine in ausreichender Menge zur Verfügung standen. Noch mit dem Konterfei des Diktators ausgestattet, wurden sie zähneknirschend von der US-Zivilverwaltung nachgedruckt. Die Druckplatten der anderen Geldscheine waren nach Plünderungen nicht mehr auffindbar. Mit Ausgabe der neuen Scheine zu Jahresanfang, bestünde nun die Möglichkeit einer diversifizierten Preisgestaltung. Trotzdem kosten die meisten Tageszeitungen nach wie vor 250 Dinar, etwa 20 Cent, im Endverkauf. Nicht so auf der Zeitungsbörse. Riad verkauft 100 Zeitungen für 12.500 Dinar. Sein Nachbar 150 für 15.000 - gemischt. 13.000 Dinar verlangt er, wenn man nur einen Titel wünscht. Straßenhändler stellen das Gros der Käufer. Es sind zumeist kleine Jungs oder männliche Teenager, die die immer länger werdenden Autoschlangen auf Bagdads Straßen ausnutzen, um Druckerzeugnisse an Fahrer und Insassen zu verkaufen. Aber auch Inhaber kleinerer Zeitungsläden und -kioske decken sich am Bab al-Muadham mit Gedrucktem ein, während die großen schon irektlieferungen genießen. Da es noch kein Abonnementgeschäft für die Verlage gibt, sind sie zu 100 Prozent auf Direktverkäufe angewiesen.
Doch im irakischen Blätterwald geht es derzeit nicht nur um Auflagen, Verkaufszahlen und Distributionswege. Es geht ebenso hart umkämpft um Macht und Einfluss. Seitdem US-Zivilverwalter Paul Bremer kurz vor seinem Abgang Ende Juni noch die ICMC - Irakische Medien- und Kommunikationskommission - eingesetzt hat, ist die Verunsicherung unter Iraks Journalisten groß. Mit Sijamed Zaid Othman, einem Exiliraker und ehemaligen Vizepräsidenten der amerikanischen Presseagentur UPI an der Spitze, soll die Kommission ein Mediengesetz erarbeiten, das professionelle und ethische Standards festschreibt. "Und vor allem den Einfluss der Amerikaner auf Dauer sichert", kritisiert Ismael Zayer, Gründer und Herausgeber der noch vor wenigen Monaten auflagenstärksten Tageszeitung "Al Sabah" (Der Morgen). 1,5 Millionen Dollar Startkapital gab die CPA (Coalition Provisional Authority dem aus dem holländischen Exil zurückgekehrten Iraker. In den Räumen der ehemaligen Wochenzeitung "Babel", die Saddam-Sohn Udai gehörte, schaffte es Zayer in kurzer Zeit, sein Blatt auf eine Auflage von 75.000 zu bringen, holte Druckaufträge weiterer Publikationen und startete das Anzeigengeschäft. Als er die erstrebte Unabhängigkeit erklären wollte, war sein Mentor erbost, erzählt er den Hergang des Zerwürfnisses mit der US-Zivilverwaltung. Paul Bremers Medienmanager David Sedgley entschied, "Al Sabah" dem "Irak Media Network" (IMN) einzuverleiben, dem neben dem alten staatlichen TV-Sender "Al Iraqia" auch zwei Radiostationen angehören. Zayer und nahezu die gesamte Redaktion quittierten den Dienst. "Wir sollten die einzige Zeitung im staatlich kontrollierten IMN sein", empört sich der 48-Jährige. Er gründete mit seinen Mitarbeitern "Al Sabah al-Jadid" - den neuen Morgen. In der alten Redaktion sitzt nun ein Vertreter der Firma Harris Corporation, die vom Pentagon den 165-Millionen-Dollar-Auftrag erhielt, das IMN aufzubauen. Vorläufiges Fazit des Machtkampfes: alter und neuer Morgen drucken jetzt zusammen nur die Hälfte der einstmaligen Auflage.

   
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