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Aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.12.2005 Seite 31

Heimweh nach der Welt

Germanistik in Bagdad: Studieren in Zeiten des Terrors

Alle wollen sie nach Deutschland. Zum Weiterstudieren, Promovieren oder einfach nur, um praktisch anzuwenden, was sie jahrelang gelernt haben. „Doch es ist momentan aussichtslos“, klagt Joad al-Juburi, „es gibt keine Visa.“ Die Versuche, Stipendien zu bekommen, schlügen ebenso fehl wie die

Rückversicherung durch schon in Deutschland lebende Verwandte. „Die Deutschen glauben, wir Iraker sind alle Terroristen“, folgert Rafaad Kathem aus dem Mißerfolg diverser Bemühungen, während Mohamed Ashar einen Appell formuliert: „Bitte behandelt uns gut, nach all dem, was wir erlebt haben!“

Nach dem Fall des Regimes von Saddam Hussein im April 2003 machte sich die Bevölkerung Luft über den Diktator. Plünderungen und Brandschatzungen verwüsteten Regierungsgebäude und öffentliche Einrichtungen. Auch die Universitäten des Landes bekamen den Volkszorn zu spüren. Vom Germanistikinstitut der Bagdad-Universität blieb nicht viel übrig. „Sogar die Klimaanlagen in den Seminarräumen wurden herausgerissen“, erzählt der Direktor Ghazi Sharif Hassan. Die Bibliothek wurde in Brand gesteckt. Von den ehemals über zwanzigtausend Bänden blieben nur verkohlte Buchrücken zurück.

Gleich nach der Revolution 1958 wurde das Institut gegründet, das immer noch einzige im Irak. Zunächst war es der Akademie der Künste angegliedert, dann zog es in den siebziger Jahren einige Straßen weiter zu den Sprachwissenschaften im alten Zentrum Bagdads. Seitdem ist es eine von elf Sprachabteilungen. „Das Fremdsprachenstudium war unter Saddam für viele eine Zuflucht“, erzählt der Germanistikprofessor, „eine Flucht in eine andere Welt.“ Heute verläuft das vierjährige Studium eigentlich in zwei Schichten, geteilt in eine Morgenfakultät und eine Abendfakultät. Doch das ausführliche Abendstudium mußte inzwischen aufgegeben werden: Die prekäre Sicherheitslage gebietet ein frühes Ende. Nachmittags um vier muß der Studienbetrieb abgebrochen werden. Denn nach diesem Zeitpunkt ist der Heimweg für die Studenten riskant, wenn sie unversehrt zu Hause ankommen wollen.

Ghazi Sharif Hassan beklagt rückläufige Studentenzahlen seit Beginn des Terrors. Während Anfang 2004 noch sechshundert Studenten und Studentinnen in Bagdad Germanistik studierten, sind es jetzt nur noch knapp die Hälfte. Vor allem Frauen würden sich seltener zum Studium einschreiben. Die Eltern hätten Angst, ihren Töchtern könnte etwas zustoßen.

Aisha und Joan sind im zweiten Studienjahr, wohnen nicht weit von der Universität entfernt und haben deshalb bessere Argumente gegenüber den Bedenken ihrer Väter. Aishas Onkel wohnt in Frankfurt. Sie möchte ihn bald besuchen. Joan denkt an eine berufliche Zukunft mit der deutschen Sprache: Sie will Übersetzerin werden.

Mit insgesamt 37 000 Euro Zuschuß von verschiedenen deutschen Institutionen wurde das Germanistikinstitut wieder aufgebaut, die Räume wurden restauriert und renoviert, die Wände neu gestrichen, Möbel gekauft. Auch Klimaanlagen sind wieder vorhanden, wenn auch noch nicht in allen sieben Seminarräumen. Bei der vom Auswärtigen Amt initiierten Aktion „Bücher für Irak“ wurden rund elftausend deutsche Druckwerke gesammelt und nach Bagdad geschickt. Stolz zeigt der Germanistikprofessor die neue Bibliothek, die eigentlich auf Betreiben seines Vorgängers zustande kam. Fuad Ibrahim wurde im April dieses Jahres auf dem Weg zur Universität brutal erschossen. Noch immer rätseln seine Kollegen über das Motiv der Tat.

Fast einhundert Professoren und Dozenten sind in den vergangenen zwei Jahren in Bagdad ermordet worden. Ärzten, Lehrern und Rechtsanwälten erging es nicht anders. Es scheint, als solle die irakische Intelligenz ausgerottet werden. „Jeder von uns steht täglich mit einem Fuß im Grab“, sagt Ghazi Sharif Hassan und schreitet die Regalreihen entlang. „Wir haben alles bekommen, von Belletristik bis zur Fachliteratur.“ Nachschlagewerke und Wörterbücher seien aber immer noch Mangelware und reichten für die Zahl der Studenten nicht aus. Er selbst sei ein großer Bewunderer Heinrich Bölls, hat eine Forschungsarbeit über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ geschrieben. Jetzt arbeitet der Literaturprofessor an einem Wörterbuch der deutschen und arabischen Sprache, „dem genauesten und umfangreichsten, das es je gegeben hat“. Mindestens vier Jahre werde es dauern, bis das Werk druckreif sei. Die momentan auf dem Markt erhältlichen Wörterbücher seien alle über dreißig Jahre alt. „Seitdem haben sich beide Sprachen erheblich verändert.“

Für Araber sei die deutsche Sprache leicht, behauptet Mohamed Ashar, der schon im dritten Jahr Deutsch studiert. Er ist zufrieden mit dem Verlauf des Studiums. Kürzlich hätten sie neue Lehrmittel bekommen. Auch die Unterrichtsmethode habe sich geändert; das bloße Auswendiglernen sei passé. Das Goethe-Institut in Amman bot Fortbildungskurse für Sprachlehrer an. Auch von der Bagdad-Universität reisten einige für eine Woche nach Jordanien. Für das kommende Jahr erwägt das deutsche Kulturinstitut die Ausbildung neuer irakischer Deutschlehrer in den frisch renovierten Räumen der Germanisten in Bagdad.

„Die Schwierigkeiten beginnen eigentlich erst nach dem Studium“, klagt Rafaad Kathem, der sich ebenfalls im dritten Studienjahr befindet und dessen Schwester in Hamburg lebt. „Hier gibt es keine Arbeit, für Deutschland gibt es keine Stipendien, und die Kommunikation mit Deutschen ist gleich Null.“

Tatsächlich ist das Engagement der Bundesrepublik im Irak aufgrund des Terrors auf ein Minimum reduziert. Nur wenige deutsche Firmen arbeiten im Zweistromland. Hilfsorganisationen und Journalisten machen sich ebenfalls rar. Nach der Entführung von Susanne Osthoff steht zu befürchten, daß das wenige noch weniger wird. Joad al-Juburi ist verzweifelt. Vor vier Jahren hat er sein Germanistikstudium beendet und kommt trotzdem noch jeden Tag von Babylon nach Bagdad, „um wenigstens hier noch ein bißchen Deutsch zu hören und zu sprechen“. Wenn man nicht ständig übe, vergesse man die Sprache. Er habe schon viel vergessen, gibt der Zweiundvierzigjährige zu. In den neunziger Jahren habe er für eine deutsche Firma im Irak gearbeitet und so die Deutschen kennengelernt. Die deutsche Literatur habe ihm über all die Strapazen der letzten Jahre hinweggeholfen. Brecht und Schiller, die deutsche Kultur, das sei sein Strohhalm. Es klingt fast flehentlich, als er sagt: „Wir lieben unser Land, wir lieben Irak. Aber wir wollen auch sehen, wie andere leben. Wir waren doch so lange eingesperrt!“      Birgit Svensson

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.12.2005 Seite 31